Mehr Megapixel? Die Vorstellung von Nikons neuem Flaggschiff D850 hat erneut die Debatten über Sinn oder Unsinn immer höherer Sensorauflösungen angefacht. Die extremen Positionen „So viele Pixel braucht kein Mensch!“ und „Nicht mal 50 MP? Das reicht mir nicht!“ sind gleichermaßen falsch – es gibt gute Gründe für eine hohe Sensorauflösung, aber es sind nicht unbedingt diejenigen, an die man zuerst denkt.
Die Auflösung der Nikon D850 ist nach heutigen Maßstäben gar nicht so extrem. Ihre effektiv 45,4 Megapixel sind nicht so viel mehr als die 42,4 Megapixel einer Sony Alpha 7R II oder Alpha 99 II und werden von den 50,6 Megapixeln der Canon EOS 5DS noch übertroffen. Ihre Sensorpixel sind auch gegenüber dem Vorgängermodell D810 mit 36,3 Megapixeln nur moderat geschrumpft; deren Kantenlänge liegt bei 4,4 µm statt wie bisher 4,9 µm. Das ist immer noch mehr als die Pixelgröße aktueller APS-C-Kameras mit 24 oder MFT-Modellen mit 20 Megapixeln.
Bedenken, die Abbildungsqualität der Objektive würde einem noch höher auflösenden Sensor nicht gerecht, sind durchaus unbegründet. Je mehr Pixel der Sensor auflöst, desto feiner wird das optische Bild abgetastet, und das ist immer von Vorteil, selbst wenn das Objektiv nur Mittelklasse wäre. Das ist schon deshalb so, weil jedes Sensorpixel ja nur für einen Farbbereich empfindlich ist und das entsprechende Bildpixel auch Anteile enthält, die aus Nachbarpixeln interpoliert wurden. Die kleineren Pixel eines sehr hoch auflösender Sensor verkleinern auch die Interpolationsartefakte, die dabei entstehen können, und wenn es sie überhaupt noch gibt – ein etwas weicher zeichnendes Objektiv wirkt ja bereits wie ein Tiefpassfilter –, würde man sie erst sehen, wenn man sehr weit in das digitale Bild hinein zoomt. Man könnte also sagen, dass einer der Vorteile einer großen Auflösung ist, dass man sie auf eine niedrigere Auflösung herunterrechnen kann, die immer noch komfortabel hoch ist, aber die nur in der 100-Prozent-Ansicht erkennbaren Artefakte nicht mehr enthält. Bilder von Kameras, deren Sensor Farbfilter im Bayer-Muster (oder einem anderen Muster) trägt, haben die Eigenheit, dass eine moderate Verringerung der Bildgröße zunächst vor allem Artefakte eliminiert, während die effektive Detailauflösung kaum leidet. Auch wenn man eine Dekonvolution anwendet, um Abbildungsfehler des Objektivs oder Schärfeverluste durch die Beugung an der Blende zu korrigieren, fällt das Ergebnis um so besser aus, je höher aufgelöst das Ausgangsmaterial ist – verkleinern kann man das Bild danach immer noch, falls das gewünscht ist.
Noch mehr Megapixel?
Aber hat eine größere Megapixelzahl nicht auch Nachteile? Eine höhere Auflösung erfordert kleinere Sensorpixel mit – bei ansonsten gleicher Technologie – geringerem Rauschabstand und Dynamikumfang. Dank des geringen Ausleserauschens der meisten modernen Sensoren lässt sich dieser Nachteil jedoch eliminieren, indem man die Auflösung nachträglich reduziert – oder einfach das Bild aus etwas größerer Entfernung betrachtet. Man darf nur nicht den Fehler machen, immer auf die einzelnen Pixel zu schauen, um die Bildqualität zu beurteilen. Entscheidend ist, wie das Bild im Ganzen wirkt.
Es gibt also gute Gründe, sich für einen höher auflösenden Sensor zu entscheiden, obwohl das bedeutet, dass in der Kamera wie auch im Computer eine größere Datenmenge zu speichern und zu verarbeiten ist und der Raw-Konverter möglicherweise etwas zäher reagiert. Aber es gibt auch andere, weniger gute Gründe, und wer sich von diesen leiten lässt, wird vermutlich enttäuscht.
Manche Fotografen frohlocken, weil sie sich von mehr Pixeln auch einen größeren Spielraum beim nachträglichen Bildbeschnitt erhoffen. Das ist natürlich richtig, aber der Effekt ist geringer als erwartet. Für ein digitales 2-fach-Zoom wäre die vierfache Pixelzahl nötig; wem also 24 Megapixel genügen würden, bräuchte dazu also einen Sensor mit 96 Megapixeln; wenn man von 36 Megapixeln ausgeht, wären es 144 Megapixel. Der tatsächliche Spielraum hält sich in engen Grenzen; im Vergleich zur D810 kann man mit der D850 nur um den Faktor 1,12 digital zoomen.
Ich höre auch immer wieder, dass Fotografen höhere Auflösungen für große Bildformate zu brauchen meinen. Man fragt sich, wie denn in den vergangenen Jahrzehnten Motive für Billboards fotografiert worden sind, da die verfügbaren Kameras, ob nun analog oder digital, völlig ungeeignet waren, bei solchen Formaten noch eine Auflösung von, sagen wir, 300 ppi auch nur annähernd zu gewährleisten. Aber hat sich jemals jemand ernsthaft darüber beschwert? Die Leica Fotografie International, für die ich ja neben meiner Arbeit als DOCMA-Redakteur ebenfalls tätig bin, hat mal Fotos aus einer Leica S (und folglich mit 37,5 Megapixeln) ausgestellt – im größten Format, das der Dienstleister printen konnte. Die Auflösung lag bei 75 ppi, aber da die Bilder sauber hochskaliert worden waren, konnte man auch aus nächster Nähe keine Pixeltreppen sehen. Das Ergebnis: Aus einem normalen Betrachtungsabstand wirkten die Großformate ziemlich beeindruckend und aus der Nähe störte die vergleichsweise niedrige Auflösung in keiner Weise. Auch in den Hamburger Briese Studios können Sie sich großformatige Mittelformatbilder anschauen, die der Hausherr mit einer Leica S aufgenommen hat. Da sie die Wände der Flure schmücken, kommt man gar nicht umhin, sie aus geringem Abstand zu betrachten, aber die Fotos sehen einfach toll aus.
Es hat seine Gründe, weshalb wir in der Praxis nicht immer hohe ppi-Zahlen brauchen. Nehmen Sie an, Sie betrachten ein Porträt, aufgenommen mit einer billigen Kompaktkamera mit ein paar Megapixeln. Im Bild sind einzelne Haarsträhnen zu erkennen, aber die Haare selbst sind verschmiert und werden nicht mehr aufgelöst. In einer Aufnahme mit einer 24-, 36- oder 37,5-Megapixel-Kamera und einem sehr scharf abbildenden Objektiv können Sie dagegen einzelne Haare mit ihren Lichtreflexen sehen. Muss es noch mehr sein? Die Details, die uns ein solches Foto zeigt, sind bereits deutlich mehr, als wir bei einer Person sehen würden, der wir in einer normalen Distanz, etwa bei einem Gespräch auf einer Party, gegenüberstehen. Selbst einen geliebten Menschen, dem wir noch näher kommen, würden wir nicht weiter unter die Lupe nehmen, schon weil wir aus extrem kurzen Entfernungen gar nicht mehr scharf sehen. Um noch feinere Details als einzelne Haare zu erkennen, bräuchten wir ein Mikroskop, und wir haben gewöhnlich keine Veranlassung, die Haarstruktur oder die Hautporen unserer Mitmenschen zu analysieren. Kurz gesagt: Wir erwarten gar nicht unbedingt, dass eine Kamera uns mehr zeigt, als wir selbst aus nächster Nähe sehen könnten.
Es gibt extrem hochauflösende Fotos, in die man immer weiter und weiter hinein zoomen kann, wobei immer neue Details auftauchen. Gigapixel-Panoramen von Städten gehören dazu, aber beispielsweise auch die Insektenfotos von Levon Biss. Der fotografische Normalfall ist das jedoch nicht, schon weil die meisten unserer Motive gar nicht so spannende Detailansichten bieten. Und so schön und makellos die Haut Ihres Models auch sein mag – die zu einer Kraterlandschaft vergrößerte Hautstruktur möchten Sie nicht unbedingt sehen. Glauben Sie also nicht, dass Sie immer mehr Megapixel brauchen, nur um Ihre Bilder dann stark vergrößert präsentieren zu können.
Gute und schlechte Gründe für mehr Megapixel: Greifen Sie ruhig zu einer sehr hoch auflösenden Kamera und machen Sie sich nicht zu viel Gedanken über die Qualität Ihrer Objektive. Aber versprechen Sie sich davon nichts, was ein Sensor mit großer Megapixelzahl gar nicht bieten kann und auch nicht bieten muss.